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FANFREIE ZONE WANTED

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„Im Stadion hat der Fan schon längst nichts mehr zu sagen.“

Bei der Gründung eines Unternehmens ist viel zu bedenken: Dinge wie die Positionierung im Markt, USP = das Alleinstellungsmerkmal, das Marktumfeld, die Unternehmensstrategie, Wachstumschancen und die Gewinnaussichten. Aber das definitive Ende einer jeden Unternehmung ist der Moment, in dem die jeweilige Marketingabteilung ihr eigenes Produkt nicht mehr versteht. Dabei ist es im Grunde genommen eigentlich gar nicht so schwer. Man muss immer nur diesen Satz hinterfragen:

„Was produzieren wir für welche Kundschaft zu welchem Preis und macht das Sinn?“

Nirgends kann man den Irrsinn eines kompletten Marketingfehlers besser sehen als bei der aktuellen Entwicklung im Fußball. Das lockere Kinderspiel und der Sport für Arbeiter und Angestellte hat mittlerweile die Weltbühne erobert. Statt Kinderaugen und überzeugten Fans auf Lebenszeit sitzt mittlerweile das operative und strategische Management der Hauptsponsoren wie Autohersteller, Versicherungsgesellschaften, Bier- und Getränkeherstellern in den Stadien. Als Konsequenz werden mittlerweile die Fangesänge mittels digitaler Bearbeitung verstärkt, damit der geneigte Luxuszuschauer noch das Gefühl von althergebrachter Stadionatmosphäre bekommt.

Macht das Sinn? Überzeugte Anhänger auszusperren um die Tribünen mit Sponsoren zu füllen?

Der Rest der Fangemeinde kann sich die Eintrittskarten mittlerweile nicht mehr leisten oder kommt erst gar nicht soweit, dass ihm sein Verein ein Ticket anbieten würde. Schließlich sind eh schon alle Sitze doppelt und dreifach ausgebucht, bevor ein normaler Fan die Chance hätte eine Karte zu erwerben. Macht das Sinn? Überzeugte Anhänger auszusperren um die Tribünen mit Sponsoren zu füllen? Wie werden eigentlich Fans gemacht. Sie gehen mit ihren Eltern als Kinder ins Stadion und bleiben dann im besten Fall ein Leben lang einem Verein treu. Sponsoren kennen keine Vereinstreue. Wenn die Kinder in 20 Jahren keinen Fußball mehr sehen möchten, weil sie in der Jugend ausgesperrt wurden, werden die Konzerne auch nicht mehr Fußballclubs hofieren. Nirgends mehr kann man die Verzweiflung und den Irrsinn ersehen, als in der Aussage eines Vorstandsvorsitzenden eines deutschen Erstligisten. Dieser Fußballclub konnte noch vor ein paar Jahren nicht genug von einer eigenständigen Vermarktung und Clubeigenem Fußball-TV phantasieren. Niemand sollte mehr Spiele dieses unglaublichen Vereins sehen, wenn er nicht ordentlich Geld dafür gezahlt hätte. Mittlerweile spricht sich selbst der Vorstandsvorsitzende dieses Clubs, neben dem Recht darauf Rolex-Uhren zollfrei in die EU einzuführen, dafür aus, dass die Fußball-Champions-League wieder teilweise im Free-TV übertragen werden sollte. Da müssen die Werbeeinnahmen aber schon ordentlich eingebrochen sein, dass die auf so eine irrsinnige Idee kommen. Dem Schmarotzer-Fan ein kostenloses Fußballspiel im Fernsehen zu überlassen glänzt schon fast an Selbstaufopferung. Wenn man im Gegenzug dazu aber bedenkt, dass ich mir auch dutzende Werbespots anschauen muss, vielleicht aber auch an Masochismus.

Letztendlich kann man als Fan nur selbst entscheiden und sich überlegen, ob man nicht für ein paar Euro weniger eine deutliche bessere Show geboten bekommt, in einem Umfeld in dem der Zuschauer geschätzt wird und nicht in erster Linie einem Premium-Kunden die Luft weg atmet. Beispiele gibt es unzählige. Egal wo man hingeht, Handball, Basketball, Eishockey, DTM usw. man bekommt überall mehr geboten für sein Geld als bei den führenden Fußballclubs der Welt.

Das war nicht immer so. Ich bin früher gerne in ein Fußballstadion gegangen. Nette Stimmung, schlechtes Essen und lausige Performance auf dem Rasen. Aber man hat gewusst, was man bekommt. Und für die paar Euro war es ok. Mittlerweile schaue ich andere Sportarten und habe jetzt schon Angst davor, wenn deutsche Großkonzerne diese Clubs im großen Stil unterstützen und sich auf den Tribünen dann wieder nur noch Creative-Directors tummeln. Vielleicht sollte ich besser Golfen gehen, bevor es irgendwann wieder ins Fußballstadion geht. Immerhin interessiert sich dafür bis dahin dann eh keiner mehr.

Diese Kolumne erschien im materialist Magazin #11 2/2019. Zum Shop.

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