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Smartphone-Zombies!

Interessiert es uns wirklich, wer gerade wo am Flughafen ist, wer gerade mal wieder sein Mittagessen fotografiert hat und welche dummdämlichen Videos gerade gepostet wurden, nur um Likes und Reichweite zu generieren? 

Es war einmal vor vielen Jahren in einem Großhandelsmarkt. Ich wurde plötzlich von einem Fitnesscenter-Mitarbeiter angesprochen, ob ich nicht gerne eine Mitgliedschaft abschließen möchte. Ich habe ihm entgegnet, dass das nichts für mich sei. Ich wäre hierfür schlicht und einfach viel zu faul.
Der Fitnessangestellte hat mir in dem Moment die Hand gereicht und meinte, ich sei der erste Mensch gewesen, der ihn an diesem Tag nicht angelogen hätte. Alle anderen Menschen haben ihm erzählt, sie wären viel zu beschäftigt und hätten einfach keine Zeit für Sport.

Finanzdiva.de ©Katja Eckardt

Mittlerweile bin ich seit Jahren selbst eisern am Trainieren. Und ich kann dem Herrn von damals nur aus vollem Herzen zustimmen. Annähernd jeder Mensch hat mehr als genug Freizeit. Ein normales Angestelltenverhältnis vorausgesetzt, bleiben bei 24 Stunden am Tag, 8 Stunden Schlaf, 8 Stunden Arbeit, 30min Mittagspause, 90min An- und Abreise von der Arbeit immer noch 6 Stunden Zeit zur freien Verfügung. Was ich damit sagen will? Jeder Mensch hat in diesen 6 Stunden genug Zeit für ein Hobby. Es gehen vielleicht keine 3 unterschiedlichen Aktivitäten mehr nebeneinander, aber letztendlich bleibt nur die Entscheidung, was man mit seiner Zeit anfangen möchte. Und auch Kinderbetreuung oder auf der Couch rumliegen kann erstrebenswert sein. Nur keine Zeit zu haben ist kein Argument, es ist eine Ausrede oder eine bewusste  Entscheidung gegen eine bestimmte Tätigkeit.

Am Ende eines Lebens wird jeder Mensch zwangsläufig resümieren: „Was habe ich mit der Zeit, die mir gegeben wurde, angefangen? Hatte mein Leben für mich Sinn ergeben?“ Ich bin in einer Zeit ohne Smartphones aufgewachsen und wundere mich jeden Tag, wie bereitwillig Menschen sind, ihre Lebenszeit für ihr Telefon oder soziale Medien zu opfern. Ich kann keine Straße mehr entlang gehen, ohne dass mich ein anderer Fußgänger umrempeln würde, nur weil er vor lauter Smartphone nicht mehr auf seine eigenen Füße schauen kann. Ganz zu schweigen von der weiterhin bestehenden Unsitte, auf dem Fahrrad oder im Auto zu telefonieren.

Und wer einmal mit einer U-Bahn gefahren ist wundert sich vielleicht und fragt sich: „Was haben wohl diese Smartphone-Zombie-Herden  vor 20 Jahren in den Zugabteilen gemacht? Interessiert es uns wirklich, wer gerade wo am Flughafen ist, wer gerade mal wieder sein Mittagessen fotografiert hat und welche dummdämlichen Videos gerade gepostet wurden, nur um Likes und Reichweite zu generieren?“ Social Media stiehlt uns unsere Zeit, es langweilt und wiederholt sich ständig in seiner Pseudoaktualität. Wieso sind wir trotzdem bereit, unsere Zeit dafür zu opfern? Die Hoffnung, allzeit erreichbar und präsent zu sein, wurde jäh enttäuscht, indem irgendwann alle ein Handy hatten und trotzdem niemand mehr angerufen wurde. Textnachrichten wurden inflationär und Freundschaften waren nur noch einen Klick entfernt.


Nichts ist so sicher wie die Veränderung. Aber was kommt nach Facebook, Instagram, Snapchat und Co.? Ich kann es auch nicht prophezeien, ich kann aber sagen, was ich mir für mich, meine Mitmenschen und meine Kinder wünsche. Eine bewusste Entscheidung was man mit seiner gegebenen Zeit anfangen möchte. Echte Freundschaften, die auch einmal eine Krisensituation überdauern können. Reale Erlebnisse und kein Leben mit „Unboxing“-Videos oder Erlebnisberichten anderer Menschen. Und vielleicht muss man dafür auch einmal die eigenen Ansprüche zurückschrauben. Es ist immer noch besser, den Sand vom ortseigenen Baggersee unter den Füßen zu spüren, als sich Videos davon anzuschauen, wie der karibische Traumstrand aussehen könnte.

Diese Kolumne erschien im Materialist, Ausgabe#08 3/2018

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